Wo sind die
Kraniche?
Lukas Vendler (Neusiedler See – Seewinkel) berichtet von einer Exkursion und den hohen Erwartungen seiner Besucherinnen und Besucher. Warum neben der Geduld bei der Beobachtung von Tieren auch Glück dazu gehört erzählt er im folgenden Beitrag.
„Wo halten sich die Kraniche auf?“ „Was werden wir für Tiere sehen?“.
Fragen, die ich seit Ende September vor jeder Exkursion durch den Nationalpark gestellt bekomme.
Fragen, die sich ständig wiederholen und schwer zu beantworten sind. Einerseits möchte man die Euphorie der Teilnehmer nicht zerstören und andererseits die Erwartungen an eine 2- oder 3- stündige Exkursion nicht zu hoch ansetzen.
Ich entgegne diesen Fragen damit, dass ein Nationalpark kein Zoo sei. Es ist einfach nicht möglich von Gehege zu Gehege zu spazieren und Tiere aus nächster Nähe zu betrachten. Die Tiere leben frei, es kommen knapp 360 Vogelarten im Nationalpark vor und das Spannende daran ist, dass man nie weiß was einem wo begegnet. Das macht auch den Reiz aus mit Spektiv und Fernglas durch die offene Landschaft des Seewinkels zu ziehen.
„Also lassen wir uns überraschen!“
Ende Oktober ist es wieder soweit. Ich leite eine 2- stündige Exkursion durch den Nationalpark. Mit dem Sonnenaufgang geht es los. Es ist kalt und bewölkt. Wie fast immer im Seewinkel kommt der unbarmherzige Wind dazu und macht die Bedingungen noch schwieriger. Die geplante Privatexkursion findet im kleinen Rahmen statt. Ein Pärchen mit hohen Erwartungen, ausgerüstet mit Videokamera, Fotoapparaten und Ferngläsern steht mir gegenüber.
„Wir waren ja schon oft hier, aber Kraniche haben wir noch nie gesehen. Sind die Kraniche denn schon da?“ fragen sie mich gleich vorweg.
„Möglicherweise! Für Kraniche ist der Seewinkel der richtige Ort und der Herbst die richtige Zeit. Gestern gab es angeblich Sichtungen, ich selbst habe aber bisher keine gesehen,“ entgegne ich.
Wir starten im Schilfgürtel. Ein spannender Lebensraum und ein riesiges Brutgebiet für viele seltene Vogelarten. Der Sonnenaufgang findet hinter einem dicken Wolkenband statt und der kalte Wind zieht durch die Kleidung, auch die Vogelwelt zeigt sich kaum. Weit entfernt ziehen Rohrweihen über das Schilf und nicht sichtbar, aber hörbar macht sich ein Eisvogel mit seinem hellen und lauten Pfiffen bemerkbar. Momente, die sich mit einem Fotoapparat und der Videokamera nicht spektakulär einfangen lassen. Die Euphorie der Teilnehmer sinkt merklich. Da helfen auch die spannendsten Infos die ich über den Seewinkel, den Neusiedlersee und das Schilf erzähle nur bedingt. Hat man sich vorgenommen großartige Bilder von Kranichen zu machen, ist es schwer sich für andere Dinge zu begeistern.
Ein Standortwechsel könnte helfen. Schnell alles zusammenpacken und in den Bus verladen, eine zweite Station weiter weg zahlt sich nicht aus, denn bei nur 2 geplanten Stunden ist jede Minute im Auto verlorene Zeit.
Also vom Schilfgürtel nur wenige Minuten zur Seekoppel. Eine ehemalige Pferdekoppel direkt am Neusiedlersee.
Vom Parkplatz ist es nur ein kurzer Fußweg zum Hide.
Auf dem Weg dorthin erzähle ich über den Sandlebensraum, der in den letzten 6000 Jahren am Ostufer entstanden ist und werde plötzlich durch ein Geräusch in der Ferne unterbrochen.
Das war doch das „Trompeten“ eines Kranichs?
Und tatsächlich, eine Minute später stehen keine 100m vor uns etwa 200 Kraniche direkt am Schilf. Schlagartig ändert sich auch die Stimmung. Die Euphorie ist wieder da und endlich kann das Fotoequipment nicht nur getragen, sondern auch genutzt werden.
Während ich über Kraniche erzähle hört man Panik unter den Vögeln. Laute Rufe, ein hektischer Lärm entsteht. Der Grund ist kurz darauf offensichtlich- ein Seeadler kommt knapp über dem Schilf angeflogen! Der große Greifvogel hält vermutlich Ausschau nach schwachen Tieren. Er landet etwa 60 Meter vor uns und bleibt einige Minuten sitzen, bis er auffliegt und in die Himmelsrichtung verschwindet, aus der er gekommen war. Ein unglaublicher Moment!
Stolz zeigt mir das Pärchen ihre spektakulären Fotos. Die Erwartungen sind nicht nur erfüllt, sondern übertroffen.
Glück gehabt!
Denn neben Geduld gehört bei der Beobachtung von Tieren auch Glück dazu.
Text: Lukas Vendler
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