Wenn es Nacht wird
in der Au

Rangergeschichte

Wenn es Nacht wird in der Au wird es spannend. Der Wald erwacht, ein Rascheln, ein Knacken, ein Krachen und Leuchten. Welche Tiere mögen da wohl in der Dunkelheit unterwegs sein? Nationalpark Ranger Heinrich Frötscher ist hier mittendrin auf der Suche nach den bedrohten Europäischen Sumpfschildkröten, um deren wertvollen Gelege vor Fressfeinden zu schützen.

Ranger Heinrich
(c)Heinrich Frötscher

Ein ungewöhnlicher Arbeitsplatz

Ein heißer Junitag neigt sich langsam dem Ende zu. Die Sonne steht schon tief über dem, jetzt im Hitzedunst unsichtbaren, Schneeberg. Ich radle durch den Nationalpark Donau-Auen auf dem Hochwasserschutzdamm Richtung Osten meiner nächsten Aufgabe an diesem langen Tage entgegen. Vor mir türmen sich gigantische weiße Wattewolken in den Himmel, ein Grollen ist zu hören – in Bratislava geht ein Gewitter nieder. Mich wird es heut wohl auch noch erwischen, wie so oft. Aber noch ist nichts davon zu spüren, es ist immer noch drückend heiß auf dem Damm. Ich denke daran, wie angenehm kühl es vorher noch war, bei der Bootstour auf der Donau. Noch steht die Sonne am Himmel und hält die Gelsen im Wald. Wenn erst die Sonne weg ist dann wird es knackig, dann wird alles was warmes Blut in sich trägt von Myriaden von Gelsen heimgesucht. Insgeheim freue ich mich über die Gelsen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Auen und ein Zeichen dafür, dass das Ökosystem noch funktioniert.

Endlich bin ich an meinem „Arbeitsplatz“ angekommen. Ein circa 600m langer Abschnitt des Hochwasserschutzdammes, der auf den ersten Blick aussieht wie jeder andere, aber ich weiß, dass in Kürze genau hier die Weibchen der Europäischen Sumpfschildkröten aus dem Wasser kommen werden, um hier ihre Eier in der warmen Erde des Schutzdammes zu vergraben. Die Sumpfschildkröten verbringen den überwiegenden Teil ihres Lebens im Wasser, sie überwintern sogar dort. Nur die Eier müssen sie an Land legen. Wie ihre Verwandten die Meeresschildkröten kommen sie dann an Land, graben ein Loch in die Erde und legen dort ihre Eier. Nachdem die Gelege zu gegraben sind, wandern die Mütter wieder zurück ins Wasser und überlassen der Sonne das Ausbrüten der Eier. Und genau da liegt das Problem und der Grund, warum ich hier bin. Als die Donau noch unreguliert war, konnten die Schildkröten ihre Eier auf Heißländen legen, das sind von der Donau aufgeschüttete sehr trockene und, wie der Name schon sagt, heiße Sand- und Geröllflächen die auch bei Hochwässern meist trocken blieben. Seit der Großen Donauregulierung der 1870er Jahre sind diese Flächen aber weitgehend verschwunden, zu weit von den Gewässern entfernt oder nun in Reichweite des Hochwassers. Im Laufe von Jahrzehnten lernten die Schildkröten, dass sich der Damm, eine menschengemachte Heißlände, als Kinderstube eignet. Leider hat das einen Hacken: Als die Eier noch auf den Heißländen gelegt wurden, waren die Gelege unregelmäßig verstreut, auf dem Damm als geradlinige Struktur aber, sind die Gelege wie an einer Perlenkette mehr oder weniger in einer Linie. Die Füchse, früher auch Wilderer, haben das für sich genutzt und suchen nun entlang des Dammes nach Eiern und finden fast jedes Gelege. Und da kommen wir ins Spiel. Wir, das ist das „Artenschutzprogramm Europäische Sumpfschildkröte“, ein Team von Biologinnen und Biologen und Rangerinnen und Ranger unter der Leitung von Maria Schindler, das sich seit Anfang der Zweitausender Jahre um den Erhalt der letzten und einzigen wilden Population der Europäischen Sumpfschildkröte in Österreich bemüht. Eine unserer Aufgaben ist es deshalb nach den legenden Weibchen zu suchen und die Gelege mit großen Eisengittern abzudecken bevor die Füchse sie finden, um den Eiern eine Chance zu geben. Und genau deshalb bin ich hier.

Gewässer am Hochwasserschutzdamm
(c)Heinrich Frötscher

Auf der Suche nach Schildkröten

Nach einem kurzen Abendessen bereite ich mich auf den Abend vor, kontrolliere ob meine Stirnlampe funktioniert, das GPS-Gerät genug Akku hat, genug Gelegeschutzgitter und Erdnägel vor Ort sind und nicht unwichtig, ich ziehe mir eine Mosquitoschutzjacke an. Im Wald wird es nun lauter, die Vögel setzen zu ihrem Abendkonzert an, die Gesänge von Singdrosseln, Pirole, und Goldammern erfüllen die Luft. Insekten brummen an mir vorbei. Ein kurzer Blick in den Westen und ich sehe die Sonne berührt bald den Horizont. Aber auch was anderes sehe ich. Eine große schwarze Wolke schiebt sich aus Nordwesten heran. Dann geht alles schnell, Blitze zucken über den Himmel und Donner grollt. Plötzlich ein Windstoß und die Bäume biegen sich. Ich greife in meinen Rucksack ziehe mir den Regenschutz über und warte. Es ist wieder windstill. Dann frischt der Wind wieder auf und mit dem Wind kommen die großen Regentropfen. Von einer Minute zur anderen ist es Dunkel, Blitze krachen in den Wald und es schüttet. Nach 15 Minuten ist der Spuck so schnell vorbei, wie er gekommen ist. So jetzt aber an die Arbeit. Meine Aufgabe ist es nun die Dammflanke abzugehen und grabende Schildkröten zu entdecken. Ich gehe durch das Gras die Augen auf den Boden vor mir geheftet, um auch ja keine Schildkröte zu übersehen. Trotz ihrer Größe und Färbung - der Panzer hat eine Länge von bis zu 20 Zentimeter und ist schwarz - sind die Tiere im Gras schwer zu finden. Als ich die erste „Runde“ abgeschlossen habe und wieder bei meinem Fahrrad angekommen bin, ist die Sonne verschwunden und ein unheilvolles Summen wird lauter. 
Da vor mir bewegt sich was im Gras! Alles spannt sich an, ganz vorsichtig gehe ich hin. Plötzlich saust ein großer langer Körper durchs Gras den Damm hinunter. Eine Äskulapnatter. Falscher Alarm. Ich gehe weiter. Auch die zweite Runde endet ergebnislos.

Schilf
(c)Kurt Kracher

Wenn es finster wird

Der Himmel ist noch hell aber am Boden zwischen den Gräsern verschwimmen langsam die Schatten, ich werde nun die Stirnlampe brauchen. Plötzlich bleibe ich wie elektrisiert stehen, etwas vor mir liegt ein großer Stein in der Wiese. Sofort ist mir klar, das ist kein Stein! Ich lasse die Lampe aus und gehe in großem Bogen hinter das Ding und langsam auf allen Vieren krieche ich näher. Es ist eine Schildkröte, die gerade eine Gelege-Grube aushebt. Nun geht alles automatisch, nach jahrelang eintrainiertem Schema. Ich schalte die Stirnlampe an, betrachte den Fortschritt ihrer Grabung, mache ein Foto vom Panzer, nehme die GPS-Koordinaten und lege ein kleines Fischer-Knicklicht hinter die Schildkröte und entferne mich wieder vorsichtig. In einiger Entfernung, um die Schildkröte nicht zu stören setze ich mich hin, um alles in meinem Notizbuch festzuhalten: Uhrzeit, Ort, Fortschritt der Eiablage, ob das Weibchen markiert ist und so weiter. Seit über 20 Jahren schon werden Sumpfschildkröten von uns mit Markierungen versehen, um sie wieder erkennen zu können. Dafür werden, mit einer Feile, kleine Kerben an Randschildern des Panzers angebracht die dann einen Zahlencode ergeben. Das ist so schmerzhaft wie Fingernägel schneiden und stört die Schildkröte kaum. Also wie war die Markierung? Hinten links 2, vorn rechts 7, vorn links 9. Damit ergibt sich 279. Ich gehe weiter.

Da, etwa 4 Meter vor mir, die nächste Schildkröte! Ich gehe ein paar Schritte zurück und pirsche mich in großem Bogen von hinten an das Tier heran. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, bewegt sie ein Hinterbein in die Höhle, die sie schon ausgehoben hat. Ich sehe es weiß glänzen im Boden. Sie legt schon Eier! Wie konnte sie mir bis jetzt entgehen? Ich sehe allerdings keine Markierungen. Sie ist uns also noch unbekannt. Ich mache noch ein Foto, um sicher zu gehen. Plötzlich erscheint ein Ei in ihrer Kloake und fällt, sie fängt es geschickt mit einem Hinterbein auf und hebt es vorsichtig in das Loch. Dann ordnet sie die Eier im Loch mit dem Bein. Ich höre das leise Knirschen von Eischale auf Eischale. Sie hält inne. Nach ein paar Sekunden wieder ein Ei. Ich sehe fasziniert zu.

Eine Schildkröte legt Eier ab.
(c)Heinz Frötscher

Vom Fuchs verfolgt

Ein Rascheln im Gras ein paar Meter hinter mir und das Gefühl beobachtet zu werden reißt mich aus meiner Trance. Ich blicke hinüber und sehe im Kegel der Stirnlampe Augen leuchten. Ich stehe auf und gehe ein paar Schritte hin. Überrascht stelle ich fest, es ist ein Fuchs, der offenbar meiner Spur gefolgt ist. Ein paar Sekunden starren wir uns reglos an, dann entspannt sich der Fuchs und beginnt die Schildkröte zu suchen, die neben mir sitzt. Empört über seine Dreistigkeit klatsche ich in die Hände, um ihn zu vertreiben. Das glückt vorerst auch, aber nach etwa 20 Metern bleibt er wieder stehen und schnüffelt wieder am Boden. Ich sehe im Moment keinen Sinn ihn weiter zu verjagen. Ich weiß inzwischen wo meine 2 Schildkröten sitzen und beschließe ihn im Auge zu behalten, während ich die Suche nach neuen Schildkröten fortsetze. Nach einiger Zeit stelle ich zu meiner Überraschung fest, dass der Fuchs im Abstand von ein paar Metern genau meiner Spur folgt. Soll ich für ihn die Eier finden? Was für ein faszinierender Gedanke. Wie intelligent ist so ein Fuchs?

Gitter über dem Gelege einer Schildkröte
(c)Maria Schindler

Auf der Suche nach dem Gelege

Einige Zeit später habe ich auch diese Suchrunde abgeschlossen und bin mir nun sicher, dass heute nur diese 2 Schildkröten an dieser Stelle ihre Eier legen. Das ist also ein eher mäßiger Tag. Wir hatte auch schon Abende an denen 10 Schildkröten gleichzeitig hier sind, das ist dann Stress pur. Die unmarkierte Schildkröte sollte ich heute auf jeden Fall „erwischen“, nachdem sie fertig ist. Ich mache nun meine Lampe aus und gebe meinen Augen Gelegenheit sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Im Dunkeln gehe ich nun direkt zu den Schildkröten. Die 279 legt inzwischen auch schon Eier. Gleich bin ich bei der anderen Schildkröte, als ich wieder das Rascheln im Gras höre. Stirnlampe an, da sitzt der Fuchs einen halben Meter hinter der Schildkröte und wartet, bis sie alle Eier gelegt hat und sein Tisch gedeckt ist. Fassungslos von dieser Dreistigkeit klatsche ich wieder in die Hände. Er läuft 2-3 Meter weg, entfernt sich aber nicht weiter und dreht sich wieder um. Das Risiko, dass er schneller an den Eiern ist als ich ist mir dann doch zu groß. Endlich habe ich Zeit die Schildkröte zu begutachten. Die Eiablage ist schon beendet und sie schaufelt, wieder mit den Hinterbeinen, das Loch zu. Das kann noch dauern. Dann geht es weiter zur 279er. Ich finde das Knicklicht aber die Schildkröte ist weg. Das macht weiter nichts, schließlich ist sie schon markiert. Schwieriger ist es das Gelege wieder zu finden. Europäische Sumpfschildkröten haben die Gabe ihre Gelege so zu tarnen, dass man keinen Hinweis darauf findet, selbst wenn man weiß, wo es sein sollte.

Ein Fuchs schleicht sich an eine Schildkröte an.
(c)Heinrich Frötscher

Das Ende eines arbeitsintensiven Tages

Ich habe mir schon vorher Pflanzen in der Nähe eingeprägt, um das Gelege wieder zu finden. Ich lege das Knicklicht genau drauf und hole ein Schutzgitter samt Nägeln und Hammer aus einem nahen Versteck. Das Gitter wird über dem Gelege platziert und rundum mit Nägeln im Boden fixiert. Weder Fuchs noch Marder schaffen es durch das Gitter oder daran vorbei und die Eier haben Gelegenheit sich zu entwickeln.

Nun zurück zur Unmarkierten. Ich komme dem Knicklicht näher, aber wo ist die Schildkröte? Oh nein! Auch sie ist schon fertig und weg. Sie hat wohl den Turbo gezündet in den letzten 10 Minuten und alles fix fertig zu gegraben und verdeckt. Noch kann ich ihre Spur im Gras erkennen. Ich laufe ihr nach, hinunter zum Wasser. Zu spät. Sie ist nirgends zu finden und schon ins Wasser verschwunden. Ich gehe zurück hinauf zum Gelege und auch hier kommt ein Gitter drauf. Meine Arbeit ist damit erledigt für heute. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es schon beinahe 22:30 ist. Zeit heim ins Bett zu kommen. Ich radle auf dem Damm zurück nach Orth, links und rechts um mich ein Glühwürmchen-Schauspiel. Was für ein langer, aber auch aufregender und schöner Tag. Was mich morgen wohl erwartet?

 

Text: Heinrich Frötscher

Ranger mit Stirnlampe
(c)Heinrich Frötscher

Der Autor bei der Arbeit

 
 

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