Natur wirkt - eine gedankliche
Reise der Sozialpädagogik

Rangergeschichte

Nationalpark Ranger Herbert Staber (Gesäuse) berichtet von seinen Erfahrungen in der Natur als Dipl. Sozialarbeiter und Bewährungshelfer. Dass Natur wirkt, hat er während seiner Arbeit bereits öfters erfahren bzw. erleben dürfen.

Ranger Herbet Staber
(c)Heinz Peterherr

Naturerleben

„Eine Erlebnisreise zur Einfachheit des Seins“ war meine schriftliche Abschlussarbeit meiner Zusatzausbildung als Dipl. Erlebnispädagoge und Gruppentrainer und ich beschrieb darin den Ablauf eines Waldläufercamps im Nationalpark Gesäuse. Das war im Jahre 2008. Mittlerweile sind „Die Outdoortage im Waldläufercamp“ ein gut gebuchtes Angebot des Nationalparks Gesäuse, das vorwiegend von Schulen gebucht wird.

Aber woher kommt diese Idee und auf welchen Gedanken ist ihr pädagogisches Konzept aufgebaut?

Gehen wir zurück in die Vergangenheit – ich gebe einen kurzen und unvollständigen Überblick. Die Erlebnispädagogik ist ein Themengebiet der Pädagogik. Sie befasst sich mit Gruppenerfahrungen in der Natur, um die eigene Persönlichkeit zu stärken und soziale Kompetenzen zu entwickeln. Sie gilt heute als integrativer Bestandteil moderner Bildungskonzepte, die in der Reformpädagogik ausgehend von Jean-Jacques Rousseau 1712-1778 ihren Ausgang hatten. Einer seiner Hauptgedanken in seinem Werk „Emilie oder Über die Erziehung“ war „zurück zur Natur“. Auch Henry David Thoreau 1817-1862 meinte, ein Erlebnis in Form einer Auszeit vom vertrauten Umfeld könne einen Perspektivenwechsel anregen. In England gründete Lord Baden-Powell 1907 die Pfadfinder, deren pädagogisches Motto „learning by doing“ vom amerikanischen Reformpädagogen W.H.Kilpatrick stammt und das Konzept verfolgte, Jugendlichen und Kinder etwas zuzutrauen und ihnen Verantwortung zu übertragen. Den Begriff Erlebnispädagogik prägte erst der deutsche Autodidakt Kurt Hahn 1886-1974. Die moderne Erlebnispädagogik entwickelte sich Ende der 1970er als Prof. Jörg Ziegenspeck die wissenschaftliche Theorie und Praxis als Wirkungsfelder zusammenführte und diese von Pädagog:innen unterschiedlich weiterentwickelt wurden.

Eine Hütte auf einer Wiese mit Bergen im Hintergrund.
(c)Stefan Leitner

Ein Perspektivenwechsel

Mein persönlicher Zugang als Dipl. Sozialarbeiter und Bewährungshelfer kam Ende der 1980er Jahre, als die Projektarbeit mit schwierigen und sozial oft benachteiligten bzw. bereits kriminell gewordenen Jugendlichen ein sehr spannendes Arbeitsfeld darstellte. Wir waren überzeugt, mit unseren Methoden der Sozialarbeit und Erlebnispädagogik den Schlüssel zur Resozialisierung in den Händen zu halten: Es wurden viele mehrwöchige Projekte mit straffällig gewordenen Jugendlichen in weit entfernten, naturbelassenen Gegenden (Skandinavien, Nordafrika) durchgeführt, in der Hoffnung, sie danach wieder als wertvolle Mitglieder in die bürgerliche Gesellschaft integrieren zu können. Ziel dieser Projekte war es, bei den Jugendlichen einen Perspektivenwechsel herbeizuführen, indem diese sich dieser Herausforderung stellten und Verantwortung übernahmen. Diese Projekte hatten aber auch Schwachstellen; Kritikerinnen und Kritiker warfen ihnen vor, den Transfer in den Alltag nicht zu schaffen, weil die Jugendlichen ihre Situation nur bei diesen „Urlaubsfahrten“ meisterten. Fairerweise muss man auch erwähnen, dass Betreuerinnen und Betreuer wie auch Jugendliche oft überfordert waren und diese Form der Sozial- Gruppenarbeit mit einem körperlichen Übergriff der Jugendlichen auf betreuende Berber (Wüstenprojekt in Ägypten) mit einer Gerichtsverhandlung in Österreich, lautend auf Mordversuch, und großem medialen Echo ihr Ende fand.

 

Menschen sitzen vor einer Hütte bei einem Lagerfeuer.
(c)Stefan Leitner

Waldläufercamp - Eine Auszeit in der Natur

Was ist geblieben? Viele kleine Projekte, die von unterschiedlichsten Organisationen mit unterschiedlichsten Jugendlichen durchgeführt werden, weil das Wissen, dass Natur wirkt, sich bewährt hat. Viele sozialpädagogische Begriffe, wie Übernahme von Verantwortung, Kooperationsfähigkeit, Lernen durch Erleben oder Spüren von Grenzerfahrungen, kann die Natur als Lehrerin ganz instinktiv und unaufgeregt vermitteln. Mittlerweile sind wir im Zeitalter von Smartphones, Computer, X-Box und mehr angekommen und junge Menschen bewegen sich immer weniger in der Natur und auch überhaupt. Zudem entwickelt sich in der virtuellen Welt ein eingeschränktes Bild der Wirklichkeit und Facebook, Twitter und Co. bestimmen oft den Tagesablauf.

Daraus schließt sich mein Kreis: vor ca. 20- 15 Jahren suchte ich mit schwierigen Jugendlichen mit Hilfe des Naturerlebens „den Weg zur Mitte“; und auch nun suche ich seit vielen Jahren als Ranger im Nationalpark Gesäuse mit „normalen“ Schülerinnen und Schülern und ähnlichen Methoden wiederum „den Weg zur Mitte“. Im Waldläufercamp vermitteln wir, dass auch mit wenig Ressourcen ein Auskommen möglich ist. Es ist für die Kinder und Jugendlichen eine spannende Erfahrung und große Herausforderung, nur im Freien zu sein, ohne Handy auszukommen, sich seinen Schlafplatz selber zu gestalten und in der Landschaft bei jedem Wetter zurecht zu finden. Themen wie Ernährung, Müll, Wasserverbrauch, Orientierung, Feuermachen, um nur einige zu nennen, runden das Programm ab. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Jugendlichen mit Dauer des Camps ruhiger werden und sie es durchaus genießen, nicht permanent chatten zu „müssen“ oder auf die Uhr zu schauen. In solchen Momenten sind sie auch offen für die Zusammenhänge in der Natur und können das eigene Handeln mit Hilfe des Naturerlebens gut reflektieren.

 

Text: Herbert Staber

 
 

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