Grüne Infrastruktur
entlang von Fahrradrouten

Forschungspreis

Die Forschungspreisträgerin Judith Scherrer beschäftigte sich während ihrer Masterarbeit im Nationalpark Thayatal mit der grünen Infrastruktur entlang von Fahrradrouten und ob diese wertvoll für den Radtourismus und Naturschutz sind.

Fahrradrouten
(c)Judith Scherrer

Kann man eine bestehende Radroute zu einem Naturerlebnisradweg ausbauen, sodass ein Mehrwert für die Radfahrer*innen und für die Natur entsteht? Dieser Frage bin ich in meiner Masterarbeit in der Studienrichtung "Naturschutz und Biodiversitätsmanagement" nachgegangen.

Ich habe eine Methode entwickelt um eine Landschaftsbewertung auf regionaler Ebene durchzuführen, die auf mehreren Faktoren basiert und verschiedene Perspektiven berücksichtigt.

Angelehnt an das EU Interreg-Projekt "MaGICLandscapes - Managing Green Infrastructure in Central European Landscapes" habe ich mich für das Untersuchungsgebiet westliches Weinviertel entschieden. Vier Fahrradrouten im Umland des Nationalparks Thayatal standen dabei im Fokus.

Nationalparks und andere Schutzgebiete leisten einen wichtigen Beitrag zum Schutz natürlicher und naturnaher Lebensräume und seltener Arten. Doch da diese isoliert nicht dauerhaft fortbestehen können sind zusätzliche naturnahe Lebensräume in der Landschaft besonders wichtig. Diese dienen auch als Trittseinbiotope um Flora und Fauna eine Vernetzung und einen Austausch zu ermöglichen.

In meiner Arbeit beziehe ich mich auf das Konzept der Grünen Infrastruktur. Diese ist von der Europäischen Kommission definiert als ein "strategisch geplantes Netzwerk wertvoller natürlicher und naturnaher Flächen mit weiteren Umweltelementen, das so angelegt ist und bewirtschaftet wird, dass sowohl im urbanen als auch im ländlichen Raum ein breites Spektrum an Ökosystemdienstleistungen gewährleistet und die biologische Vielfalt geschützt ist." Es ist ein multifunktionelles Konzept, also Flächen können und sollen vielfältige Funktionen erfüllen. Das kann zum Beispiel die Bereitstellung sauberer Luft sein, Erhöhung der Biodiversität oder Erholungsnutzen.

Die Forschungsfrage, die ich mir konkret gestellt habe lautet folgendermaßen:

Welchen Beitrag leistet die Grüne Infrastruktur entlang von Fahrradrouten für Naturschutz und das Naturerlebnis für Radfahrer*innen und wo liegen Möglichkeiten beides aufzuwerten?

Daraus leiten sich zwei Unterfragen ab:

Wie verhalten sich Naturschutz, das Naturerlebnis der Radfahrer*innen und die Landnutzung zueinander?

Gibt es eine Spezialisierung oder eine Multifunktionalität in den Ökosystemen der untersuchten Landschaft?

Ein Fahrradweg neben einem Weingarten.
(c)Judith Scherrer

Obwohl Radrouten, insbesondere in intensiv agrarisch genutzten Landschaften, ein großes Potential für Grüne Infrastruktur bieten, gibt es zum Thema Naturschutz und Fahrradrouten noch kaum spezifische wissenschaftliche Untersuchungen. Neben den Möglichkeiten der Lebensraumvernetzung kommt natürlich auch der Erholungswert hinzu und viele weitere Ökosystemdienstleistungen. Der Ausbau der Grünen Infrastruktur entlang der Radrouten bietet also viel Potential für nachhaltige Entwicklung.

Das Naturerlebnis der Tourenradler*innen könnte vielleicht auch erhöht werden, wenn man neue Radwege zu naturschutzfachlich interessanten Plätzen baut. Doch das würde wiederum die Flächenversiegelung erhöhen und für bestehende Lebensräume zerschneidende Wirkung haben. Daher habe ich eine andere Überlegung angestellt. Statt neue graue Infrastruktur zu schaffen schlage ich eine Investition in Grüne Infrastruktur vor um bereits bestehende naturnahe Flächen mit den vorhandenen Radwegen zu verbinden.

Doch was für Radtourist*inn*en attraktiv ist und hohen Naturerlebniswert bietet deckt sich nicht notwendigerweise mit den Zielsetzungen aus Sicht des Naturschutzes. Und umgekehrt könnten ansprechende Naturareale auch durch Übernutzung unter Druck geraten und dadurch die Lebensraumqualität der Naturlandschaft sinken. Daher war es wichtig die Kompatibilität von Naturschutz und Radtourismus zu untersuchen. Zusätzlich habe ich die Perspektive der Landnutzung bewertet, da die agrarische Nutzung ein wesentlicher Faktor im Untersuchungsgebiet ist und daher mitberücksichtigt werden muss. Durch den Vergleich dieser drei verschiedenen Blickwinkel konnte ich Korrelationen und mögliche Konfliktpunkte ermitteln.

Trockenstandort
(c)Judith Scherrer

In 70 Probekreisen von je 31416 m2 habe ich empirische Freilanderhebungen durchgeführt. Neben der Landschaftsstruktur wurden auch zusätzliche Daten für naturschutzfachlich besonders wertvolle Fokusbiotope und den Fahrradweg selbst erhoben. Aus dem Datensatz habe ich 28 Landschaftsvariablen errechnet. Diese nutzte ich als Kriterien um mithilfe neu entwickelter Formeln drei Gesamtwerte pro Probekreis zu berechnen. Für diese Gesamtwerte habe ich jeweils eine Vielzahl verschiedener Faktoren mitberücksichtigt. Sie bilden die drei Blickwinkel ab, welche in meiner Studie im Fokus stehen: Der "Natural Value" beschreibt die Perspektive des Naturschutzes, der "Cycling Tourism Value" repräsentiert das Maß des Naturerlebnisses für Radtourist*inn*en und um den "Land Use Value" zu berechnen habe ich den Blickwinkel der intensiven Landwirtschaft eingenommen.

Diese Gesamtwerte sind vergleichend und mit ihnen können Analysen innerhalb der Bandbreite von Landschaftsausschnitten im Untersuchungsgebiet durchgeführt werden. Die Auswertung der Daten jedes Probekreises aus drei verschiedenen Blickwinkeln ermöglichte mir zudem eine gesamtheitlichere Bewertung der Landschaft.

Zusätzlich berechnete ich mit einer weiteren Methode den separaten Wert "Suitability for Multifunctional Development, SMD". Dieser beschreibt die Eignung des Probekreises für eine Weiterentwicklung der Grünen Infrastruktur in Sinne der gleichzeitigen Aufwertung für den Naturschutz und das Naturerlebnis der Radfahrer*innen.

Die Untersuchungen haben klare Ergebnisse geliefert. Die neu entwickelten Formeln bewiesen ihre Wirksamkeit und darüber hinaus konnte die Robustheit der Methode bestätigt werden.

Die möglichen Landschaftsausschnitte im Untersuchungsgebiet waren durch den Aufbau der Studie gut repräsentiert. Sowohl spezialisierte als auch multifunktionelle Probekreise wurden untersucht.

Der Vergleich der drei Gesamtwerte zeigt deutliche Tendenzen auf. Die starke positive Korrelation zwischen dem "Natural Value" und dem "Cycling Tourism Value" und ihre stark negative Korrelation zum "Land Use Value" ist sehr ausgeprägt. Der Konflikt zwischen intensiver Landnutzung und Naturschutz wird deutlich sichtbar. Andererseits bieten naturschutzfachlich wertvolle Gebiete auch einen hohen Naturerlebniswert für Radfahrer*innen und im Gegenzug haben Letztere auch wenig negativen Einfluss auf den "Natural Value". Daher ist eine Aufwertung der Grünen Infrastruktur entlang der Fahrradwege möglich, welche zugleich für den Naturschutz und das Naturerlebnis der Radtourist*inn*en förderlich ist.

Eine hohe Spezialisierung auf Landnutzung wirkt sich negativ auf die beiden anderen untersuchten Blickwinkel aus und schmälert daher auch den touristischen Wert der Radroute. Doch schon eine leichte Reduktion der Landnutzung bietet gute Möglichkeiten, denn hohe Gesamtsummen aus allen drei berechneten Gesamtwerten waren bereits mit mittleren Werten beim "Land Use Value" möglich.

Eine gemischte Landschaft mit einem Fokus auf natürlichen Landschaftselementen bietet den höchsten Naturerlebniswert für Radfahrer*innen. Die Ergebnisse liefern auch Ansätze wo dieser noch erhöht und der Naturschutz gefördert werden kann. Im Untersuchungsgebiet zeigt sich Verbesserungspotential in Bezug auf bestehende Naturschutzgebiete und Naturdenkmäler. Eine Investition in Grüne Infrastruktur zwischen diesen Arealen und der Radroute würde beiden Seiten zugute kommen.

Die Ergebnisse des "SMD" stehen in starker Korrelation mit dem Muster der drei Gesamtwerte.

An dieser Stelle möchte ich noch anmerken, dass das Berechnen von Werten für die Leistungen einer Landschaft immer eine Abstraktion der Komplexität natürlicher Systeme darstellt und daher achtsam eingesetzt werden soll. Die berechneten Werte repräsentieren einen Ausschnitt und stellen eine Annäherung dar um klare Analysen und Berechnungen zu ermöglichen. Doch es gilt zu beachten, dass es auch Werte gibt, die vielleicht nicht in Zahlen ausgedrückt werden können.

Die Studie zeigt auf, dass durch die Weiterentwicklung der Grünen Infrastruktur entlang von Radrouten ein wertvoller Beitrag zur Regeneration natürlicher Lebensräume geleistet werden kann, der zugleich den Naturerlebniswert für Radtourist*inn*en erhöht und dadurch auch einen Mehrwert für nachhaltigen Tourismus in einer Region schafft. Diese Forschungsarbeit kann daher eine Grundlage bieten um Strategien für naturschutzfachlich wertvolle und radtouristisch ansprechende Radrouten zu entwickeln.

Ich freue mich mit meiner Arbeit einen Beitrag und Impuls dafür anbieten zu können.

[Text: Judith Scherrer]

Fahrradroute in einer Kellergasse.
(c)Judith Scherrer

 
 

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