Der Winter lässt
die Europäische Sumpfschildkröte kalt

Rangergeschichte

"Und dann fällt es mir ein, normalerweise lassen sich hier auf den Baumstämmen im Wasser Europäische Sumpfschildkröten (Emys orbicularis) die Sonne auf den Panzer scheinen. Doch auch wenn ich mit meinem Fernglas alles genau absuche, kann ich keine einzige unserer heimischen Schildkröten mit ihren dunklen Panzern und den gelben Pünktchen entdecken."
Wie die Europäische Sumpfschildkröte den Winter verbringt erzählt uns Nationalpark Rangerin Theresa Böckle (Donau-Auen) in ihrer Rangergeschichte.

(c) Grabner

Winterspaziergang in Orth an der Donau
Es ist wieder einer dieser kalten, dunklen Wintertage…Wien hängt im Nebel fest, doch laut Wetterbericht hat man draußen im Marchfeld Chance auf die ein oder anderen Sonnenstunde. Ich pack mich in (gefühlt) zwanzig Schichten Gewand ein und schnapp mir meinen Rucksack, der mit einer Thermoskanne Tee, ein paar Keksen und meinem Fernglas gefüllt ist.
Auf dem Weg Richtung Orth an der Donau mit dem Bus ist es dann endlich soweit, Sonne! Kurz schmerzt das helle Licht, aber mit der Zeit gewöhnen sich meine Augen an die Helligkeit. Ich starte meinen Winterspaziergang am Schloss Orth, dem Nationalpark-Zentrum des Nationalpark Donau-Auen. Im Vergleich zur Hochsaison im Mai ist zu dieser Zeit im Jahr hier weniger los, das Schloss und die Schlossinsel sind geschlossen. So wie die Natur es in der kalten Jahreszeit ruhiger angehen lässt, so macht es auch der Nationalpark. Ausgenommen davon sind ein paar spannende Exkursionen im Winter, die einem ganz wunderbare Beobachtungen wie die Balzflüge der lokalen Seeadlerbrutpaare bescheren können.

Auf der Suche nach der Sumpfschildkröte
Ich gehe in den Auwald hinein und atme die kalte, aber frische Winterluft ein, die in Wölkchen sichtbar wieder herauskommt. In den Bäumen rund um mich hüpfen Kleiber, Buntspecht, Kohl- und Blaumeisen gemischt in einer Gruppe herum, wie sie es im Winter gern machen. Im Altarm neben mir schwimmen Baumstämme, doch etwas ist anders als sonst, aber ich muss kurz überlegen, was es ist. Und dann fällt es mir ein, normalerweise lassen sich hier auf den Baumstämmen im Wasser Europäische Sumpfschildkröten (Emys orbicularis) die Sonne auf den Panzer scheinen. Schildkröten sind wechselwarme Tiere, das bedeutet, dass sie im Gegensatz zu uns Säugetieren nicht konstant ihre Körpertemperatur halten, sondern diese mit der Umgebungstemperatur schwankt. Dabei sind die Tiere aktiver je wärmer sie sind und deshalb finden wir sie auch gerne auf geschützten Stellen wie auf den Baumstämmen im Altarm Sonne tanken. Doch auch wenn ich mit meinem Fernglas alles genau absuche, kann ich keine einzige unserer heimischen Schildkröten mit ihren dunklen Panzern und den gelben Pünktchen entdecken.

Schildkröteneier unter Schutzgitter
(c) Schindler
Kleine Schildkröte im Herbstlaub
(c) Pavek

Kälteschutz
Doch was machen Europäische Sumpfschildkröten im Winter, wenn es kalt ist?
Die Aktivitätszeiten der Europäischen Sumpfschildkröte sind abhängig von ihrem jeweiligen Lebensraum. Da diese Schildkrötenart neben Österreich auch noch in anderen Teilen Europas wie beispielsweise der Camargue in Südfrankreich, in Griechenland (sowohl am Festland als auch auf manchen Inseln) oder auf der italienischen Insel Sardinien vorkommt, hat sie auch ihre Lebensweise speziell an ihre jeweilige Umgebung anpassen müssen.
Die Population im Nationalpark Donau-Auen muss mit den oft recht harschen Bedingungen des hier beginnenden kontinentalen Klimas im Winter zurechtkommen. Wenn die Temperaturen sinken, suchen die Schildkröten geschützten Bereiche in passenden Überwinterungsgewässern auf. Dort halten sie Winterruhe bzw. verfallen in eine sogenannte Winterstarre, in der ihre Lebensfunktionen auf ein Minimum reduziert werden.

Besonders spannend finde ich, dass die Schildkröten, die normalerweise zum Atmen an die Wasseroberfläche der Altarme auftauchen, im Winter Wasser mit ihrer Kloake ansaugen können, um aus diesem Sauerstoff aufzunehmen; eine Fähigkeit, die äußerst praktisch ist, wenn man bedenkt, dass während der Überwinterung die Wasseroberfläche auch mal zufrieren kann. Bei warmen Wetterlagen aber kann es auch hier im Nationalpark passieren, dass man einer Europäischen Sumpfschildkröte sogar im Winter begegnet.

Die Schildkröte und die Rangerin
Ich habe nun auf meiner kleinen Winterwanderung Halbzeit und sitze Tee trinkend und Kekse essend am Ufer der Donau. Kormorane trocknen sich auf einer Buhne am Ufer gegenüber ihr Gefieder in der Sonne. Die kalte Jahreszeit ist für mich immer die Zeit Kraft zu tanken, denn ich weiß, ab Mitte Mai bis Mitte Juli werde ich auch nächstes Jahr wieder nahezu täglich im Nationalpark unterwegs sein. In diesen zwei Monaten ist nämlich die Ablagesaison der Europäischen Sumpfschildkröte und Hochsaison bei den Rangerinnen und Rangern. Wenn ich so das Wasser an mir vorbeifließen sehe und nachdenke, dann hat meine Geschichte mit dem Nationalpark Donau-Auen eigentlich auch mit der Europäischen Sumpfschildkröte begonnen, als ich 2017 Teil des Teams des Artenschutzprojekts wurde.
Bei jedem Wetter sind meine Kolleginnen und Kollegen und ich abends in der Dämmerung im Nationalpark auf der Suche nach den Weibchen, die in den zwei Monaten zu Sommerbeginn aus den Altarmen kommen, um ihre Eier abzulegen. Wenn sie einen passenden Platz gefunden haben, graben sie ein ungefähr faustgroßes Loch in den Boden und legen ihre Eier hinein. Nachdem sie ihr Nest zugegraben und mit ausgerissenen Pflanzenmaterial gut getarnt haben, verschwinden die Weibchen wieder heimlich im Altarm. Das ist der Zeitpunkt, an dem wir ein Gitter über dem Nest befestigen – so groß, dass die Schlüpflinge selbst das Nest verlassen können aber auch so klein, dass beispielsweise Füchse die Eier nicht ausgraben können.

Eine Schildkröte legt Eier ab.
(c)Heinz Frötscher

1x1 der Schlüpftechniken
Am Weg zurück begegne ich zwei Spaziergehern mit ihrem Hund, der gemütlich an der Leine mitläuft. Ich grüße sie freundlich. Die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen von der Nationalparkaufsicht scheint Früchte zu tragen, das wiederholte aufmerksam machen auf die Leinenpflicht im Nationalpark dürfte bei den meisten Besucherinnen und Besuchern nun doch angekommen sein.
Ein Stück weiter entlang meiner Route gehe ich an einem der Nistbereiche der Europäischen Sumpfschildkröte vorbei. Geschlüpft wird abhängig von Neststandort und Witterungsbedingung während der Entwicklung der Eier circa Ende des Sommers.
Doch jetzt kommt das Besondere: Nur ungefähr ein Drittel der Jungtiere verlässt das Nest nach dem Schlupf und sucht passende Gewässer auf. Zweidrittel der Schlüpflinge überdauern den Winter im Nest und graben sich erst im Frühjahr aus der Erde.
Der Grund dafür liegt an zwei unterschiedlichen Überlebensstrategien: Bei milden Wintern oder wenn während einer Kälteperiode, wenn eine dicke Schneeschicht den Boden isoliert, so dass die Temperaturen im Nest nicht zu tief sinken, überleben die meisten Schlüpflinge und verlassen erst im Frühjahr das sichere Nest. Wenn aber die Witterung im Winter zu harsch ist und dadurch die Temperaturen im Boden stark sinken, erfrieren die Schlüpflinge im Nest. In diesem Szenario hatten diejenigen Jungtiere die bereits Ende des Sommers ihr Nest verlassen haben die besseren Überlebenschancen. Hier bei uns in den Donau-Auen können beide Strategien zum Erfolg führen.

Ein ganz normaler Tag in den Donau-Auen
Es dämmert in der Zwischenzeit und ich bin trotz Tee und wintertauglichem Gewand doch schon ziemlich durchgefroren. Auf dem letzten Stück Weg in Richtung Bus höre ich ein Knacken im Wald links neben mir. Ein Reh starrt mich einen Moment lang an und hüpft dann in die Dunkelheit davon. Es fasziniert mich jedes Mal wie oft man hier im Nationalpark zufällig Tiere entdeckt, die einen sicher schon längst gewittert oder gehört haben. Ich bin am Ende meiner Tour angekommen und steige vor dem Schloss Orth in den Bus nach Hause.

 

Text: Theresa Böckle

 

(c) Paro

 
 

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