Artenzusammensetzung
auf Gletschervorfeldern

Forschungspreis

Die Masterarbeit von Marlon Schwienbacher beschäftigt sich mit der Frage, welche treibenden Faktoren die Zusammensetzungen von Pflanzengemeinschaften alpiner Sukzessionsflächen determinieren.

Kriech-Nelkenwurz
(c)Marlon Schwienbacher

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche treibenden Faktoren die Zusammensetzungen von Pflanzengemeinschaften alpiner Sukzessionsflächen determinieren. Methodisch werden anhand der Analyse von verschiedenen Blatt-Merkmalen, die treibenden Kräfte sowie involvierte Prozesse der Bildung von Pflanzengesellschaften auf Sukzessionsflächen identifiziert. Um ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten, wird ein integrativer Ansatz verfolgt, bei dem sowohl inter- als auch intraspezifische Blatt-Merkmale über mehrere ökologische Skalenniveaus analysiert werden. Um die Ergebnisse der unterschiedlichen Modelle und Tests zusammenzuführen, möchte ich sie aus drei Blickwinkeln diskutieren und dabei auf meine Forschungsfragen eingehen: (i) Welche relative Bedeutung hat intraspezifische Merkmals Variabilität (ITV) in den untersuchten Blatt-Merkmalen, (ii) sind Nischen-basierte Filter die treibenden Kräfte hinter der Selektion von Arten auf Gletschervorfelder und (iii) welche Umweltfaktoren determinieren die Ausprägung von Blatt-Merkmalen.

Als erstes möchte ich auf die relative Bedeutung von inter- und intra-spezifischer Variabilität beider Blatt-Merkmale eingehen. Hier zeigt sich ein klarer Unterschied in der Varianz-Verteilung zwischen Spezifischer Blattflächen Index (SLA) und Blatt Stickstoff Gehalt (LNC). Während bei SLA 85,8% der Gesamtvariation auf Unterschiede zwischen Arten zurückzuführen sind, stellt dies für LNC mit 43,5% den kleineren Anteil dar. Unterschiede zwischen den beiden Merkmalen bleiben auch nach einer weiteren Aufteilung der ITV bestehen. So kann im Fall von LNC der größte Teil der Variation auf das ökologische Skalen-Niveau der Gletschervorfelder zurückgeführt werden, dies trifft für SLA jedoch nicht zu. Eine mögliche Erklärung für diese Muster ist die Ausbildung lokaler Subpopulationen durch die räumliche Distanz zwischen den Gletschervorfeldern. Durch Plastizität der Blatt-Merkmale zwischen Subpopulationen würde nicht nur die hohe Variation auf dem Niveau der Gletschervorfelder, sondern auch der hohe Anteil der ITV von LNC erklärt werden. Ob sich Subpopulationen nur durch phänotypische Anpassungen unterscheiden oder bereits genetisch distinkte Populationen gebildet haben, lässt sich ohne genetische Analyse nicht vollständig beantworten. Ein genauerer Blick auf die Analyse ökologischer Gradienten zeigt jedoch, dass sich auch die Nährstoffverfügbarkeit zwischen den Gletschervorfeldern erheblich unterscheidet. Ordeñez et al. (2009) hat in einer globalen Metastudie die Beziehung zwischen Blattmerkmalen und Bodenparametern untersucht und dabei einen Zusammenhang zwischen LNC und dem Gesamtstickstoffgehalt von Böden gefunden. Sollte dieser Zusammenhang nicht nur auf größeren Skala-Niveaus, sondern auch im impliziten Fall meines Untersuchungsgebietes gelten, so würde dies für phänotypische Anpassungen an unterschiedliche Habitatbedingungen sprechen. Betrachtet man zusätzlich die relevanten Umweltindikatoren der Aufnahmeflächen, so kann keine direkte Beziehung zwischen dem Blattstickstoffgehalt und dem Landoltwert lan_NUTRI -ein Indikator für die Stickstoffverfügbarkeit- festgestellt werden. Ob dieser Zusammenhang bei direkten Messungen des lokalen Bodenstickstoffgehalts anstelle der Indikatorwerte doch besteht, müsste jedoch in einer weiteren Studie geklärt werden.

Marlon Schwienbacher bei der Arbeit.
(c)Marlon Schwienbacher

In Bezug auf meine Forschungsfrage zur relativen Bedeutung der inter- und intraspezifischen Variabilität der Blatt-Merkmale kann gesagt werden, dass ITV eine nicht zu vernachlässigbare Größe bei der Untersuchung von Pflanzengemeinschaften darstellt. Auch wenn der gemessene ITV von SLA mit 14,2% niedriger ist als der von Siefert et al. (2015) ermittelte globale Durchschnitt von 25 %, so zeigte sich mit dem Ergebnis des chemischen Blatt-Merkmals LNC (56,5%), dass die ITV in einigen Fällen sogar wichtiger sein kann als die interspezifische Variabilität. Die Ergebnisse meine Forschung unterstützen daher frühere Erkenntnisse, dass ITV bei der Untersuchung der Beziehung zwischen Umweltparametern und Pflanzenmerkmalen berücksichtigt werden sollte (Albert et al., 2010; Kichenin et al., 2013).

Zweitens zeigen die Ergebnisse, dass sich eine Reihe von biotischen und abiotischen Umweltparametern entlang der glazialen Chronosequenz signifikant ändern und somit den angenommen ökologischen Gradienten bestätigen. Entgegen der Erwartungen lässt sich dieser Gradient jedoch nicht in der Partitionierung der beiden Blatt-Merkmale erkennen. Ein bedeutender Faktor hierbei ist die Verteilung der Merkmalsvariabilität, welche zu einem großen Anteil zwischen den Aufnahmeflächen innerhalb der Transekte und nicht, wie erwartet, zwischen den Transekten zu finden ist. Neben der Variabilität zwischen Aufnahmeflächen eines Transekts, erklärt die kleinste gemessene ökologische Organisationseinheit, nämlich Individuum+Fehler innerhalb der Aufnahmeflächen, ebenso große Anteile der Gesamtvariation, dies gilt besonders für SLA. Schlussfolgernd, deuten diese Ergebnisse auf eine hohe Divergenz der Merkmale innerhalb kleinerer ökologischen Organisationseinheiten hin. Das Auftreten von relativ gesehen großer Variabilität der Blatt-Merkmale zwischen Flächen ähnlichen Alters wird durch die schwachen Zusammenhänge in den lme-Modellen der Habitat-Bedingungen unterstützt. Warum sowohl bei der Varianz-Partitionierung als auch den lme-Modellen keine starken Zusammenhänge zwischen Habitat-Indikatoren und Merkmalsausprägungen zu finden sind, kann verschiedene Ursachen haben: (i) so kann durch das Vorhandensein von Mikrohabitaten oder sogenannte "Safe Sites" innerhalb der 1x1m-Flächen die abiotischen Lebensraumbedingungen innerhalb einer Aufnahmefläche deutlich heterogener werden (Blonder et al., 2018; Erschbamer et al., 2008; Opedal et al., 2015; Raffl et al., 2006; Stark et al., 2017); oder (ii) stochastische Prozesse spielen in frühen Phasen der Besiedlung von Gletschervorfeldern eine größere Rolle als Selektion durch Habitatbedingungen bzw. haben Nischen-basierte Filter noch nicht genügend lange auf eine Pflanzengemeinschaft einwirken können um diese signifikant zu selektieren. Sollte dies zutreffen, so würde diese Erklärung einen Übergang von der Dominanz des Zufalls während der frühen Phasen der Besiedlung hin zu stärkerer Bedeutung ökologischer Filter (Emerson & Gillespie, 2008) für die Artenzusammensetzung mit zunehmendem Alter der Gletschervorfelder nahe legen. Eine weitere mögliche Erklärung wäre, dass (iii) biotische Interaktionen, wie sie von Chalmandrier et al. (2017) und de Bello et al. (2013) beschrieben werden, besonders auf kleineren ökologischen Skalen in Form von Konkurrenz auf Individuen einwirken und somit die Divergenz an Merkmalsausprägungen auch unter ungünstigen Umweltbedingungen fördern. Zusammenfassend schließe ich aus meinen Ergebnissen, dass Nischen-basierte Prozesse nicht als einzige und primär selektierende Faktoren auf Gletschersukzessionsflächen identifiziert werden können. Da verschiedene Erklärungsmöglichkeiten für die Ergebnisse bestehen, ist es notwendig an diesem Punkt weitere Forschung anzuschließen.

Untersulzbachtal im Nationalpark Hohe Tauern
(c)Marlon Schwienbacher

Drittens, beschäftigt sich meine letzte Forschungsfrage mit der Thematik, welche Umweltfaktoren die Ausprägung von Blatt-Merkmalen determinieren. Wie bereits beschrieben, habe ich entgegen meinen Erwartungen nur einen geringen Zusammenhang zwischen Merkmalsausprägungen und Habitatbedingungen der Aufnahmeflächen gefunden. Welche Variablen tatsächlich als Filter wirken, lässt sich aus meinen Daten nicht vollständig beantworten. Dennoch zeichnen sich gewisse Tendenzen ab, an denen weitere Forschung anknüpfen kann. Hier ist besonders der Faktor Eastness zu erwähnen. Wie Winkler et al. (2016) gezeigt haben, sind Ost-exponierte Hänge in alpinen Rasen aufgrund der kombinierten Wirkung hoher Tagestemperatursummen und dem Schutz vor Westwinden besonders artenreich. Basierend auf dieser Studie hatte ich erwartet, dass Blatt-Merkmale einen positiven Zusammenhang mit dem Umweltdeskriptor Eastness aufweisen würden. Die lme-Modelle zeigten jedoch, dass beide Blatt-Merkmale tendenziell in die entgegengesetzte Richtung reagierten, einzige Ausnahme war hier das SLA-Modell für Oxyria. Vor allem in den frühen Sukzessionsstadien bestehen die Böden von Gletschervorfeldern aus Schotter, Sand und Schluff. Laut Marcante et al. (2014) unterliegen Keimlinge auf diesen Rohböden, die eine geringe Wasserhaltekapazität aufweisen, einer erhöhten Sterblichkeit durch Hitzestress in den heißen Sommermonaten. Betrachtet man meine Ergebnisse nun aus diesem Gesichtspunkt, so lässt sich vermuten, dass der Faktor Eastness auf Gletschervorfeldern durch die hohen täglichen Temperatursummen im Sommer eher als Indikator von Trockenstress gesehen werden kann. Der erwähnte Ausnahmefall von Oxyria und das artenübergreifende Modell von LNC, zeigen, dass der Feuchtigkeitsindikator lan_MOIST in entgegengesetzter Richtung zu Eastness auf die Blattmerkmale einwirkt. Dieses Ergebnis stützt die Theorie, dass Trockenstress ein selektiver Faktor für die Ausprägung von Blatt-Merkmalen, insbesondere SLA, ist.

Als Resümee lässt sich sagen, dass ein mäßiger Zusammenhang zwischen den untersuchten Blattmerkmalen und Umweltindikatoren besteht. Beide Merkmale weisen zusätzlich eine hohe Merkmalsdivergenz auf kleinen ökologischen Organisationsskalen zwischen und innerhalb der Aufnahmeflächen auf. Mögliche Erklärungsmodelle dafür sind das Vorhandensein von günstigen Mikrohabitaten, eine hohe Relevanz stochastischer Effekte während früher Besiedlungsprozesse, unzureichend Zeit für Nischen-basierte Selektion oder Relevanz biotischer Interaktion. Folglich kann die Zusammensetzung von Pflanzengemeinschaften der untersuchten Gletschervorfelder nicht primär durch Nischen-basierte Selektion erklärt werden. Auf dem Skalenniveau der einzelnen Aufnahmeflächen konnte Trockenstress (beschrieben durch Eastness und lan_MOIST) als plausibelster Prädiktor für Variabilität der Blatt-Merkmale identifiziert werden, statistisch wird diese Annahme jedoch nur schwach gestützt. Insbesondere durch die Ergebnisse des chemischen Blattmerkmal LNC, bei dem ITV mehr als 50% der Gesamtvariation ausmacht, wird mit dieser Arbeit die Bedeutung der intraspezifischen Variabilität für synökologische Fragestellungen hervorgehoben.

Weitere Informationen

[Text: Marlon Schwienbacher]

 
 

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