Waldbaden
wenn die Seele baumeln darf
"Unser Nachdenken zum Thema Vergänglichkeit und der Wunsch, die verbleibende Zeit bewusst zu nutzen, reduziert die innere Geschwindigkeit, mit der wir meist unterwegs sind und mit der wir häufig auch bei Angeboten des Nationalparks starten."
Claus Lackerbauer (Kalkalpen) ist seit der Zeit der Kraftwerksbestrebungen und den damit verbundenen Protestbewegungen 1984 eng mit dem heutigen Nationalpark Kalkalpen verbunden. Mit dem Thema Waldbaden kam er erstmals 2012, bei einer Ausbildung zum „Wilderness Guide for Rites of Passage“ in den USA in Berührung.
Vorbereitung.
Es ist 8:00 Uhr morgens und es schüttet in Strömen – ob bei diesem Sauwetter wohl wer mit mir im Wald unterwegs sein will?
Eine Dreiviertelstunde später biege ich bei der Villa Sonnwend ein, unserer Nationalpark Lodge und eines der Aushängeschilder des Nationalpark Kalkalpen. Das Wetter bleibt genauso nass wie in der Früh, aber, welch eine Freude, ich bin doch nicht allein. Von den acht angemeldeten Gästen haben vier Frauen beschlossen, mit mir den widrigen Bedingungen zu trotzen.
Nach kurzer Begrüßung starten wir in der hauseigenen regenfesten „Lafthütte“, einer nachgebauten Holzfällerbehausung, die typisch für unsere Gegend war. Im Anschluss an eine kurze Vorstellrunde lade ich zu einem kleinen Experiment ein. Auf meine Bitte hin denken die Teilnehmerinnen darüber nach, wie hoch die durchschnittliche Lebenserwartung derzeit in Österreich für Frauen ist - Männer sind ja keine mit - und kürzen das ausgeteilte einen Meter lange Papiermaßband an exakt dieser Stelle. Dann bitte ich alle, von diesem Streifen das eigene Lebensalter abzuziehen. Das verbleibende Stück entspricht also jenen Jahren, die uns statistisch gesehen noch bleiben. Wir tauschen uns in der Runde darüber aus, welche Gedanken dazu in uns auftauchen und hoffen natürlich, dass wir alle das statistische Durchschnittsalter deutlich überschreiten .. ;)
Unser Nachdenken zum Thema Vergänglichkeit und der Wunsch, die verbleibende Zeit bewusst zu nutzen, reduziert die innere Geschwindigkeit, mit der wir meist unterwegs sind und mit der wir häufig auch bei Angeboten des Nationalparks starten. Diese Geschwindigkeitsreduktion gleich zu Beginn der gemeinsamen Stunden unterstützt somit auch das Eintauchen in eine etwas andere Nationalpark Führung, dem Waldbaden. „Ja, das was wir heute tun,“ erzähle ich meinen Teilnehmerinnen, „zahlt auf das Wichtigste in unserem Leben ein, auf unsere körperliche und geistige Gesundheit!“
Im Anschluss an diese grundsätzliche Ausrichtung sprechen wir darüber, was mit dem Begriff Waldbaden überhaupt gemeint sein könnte, z.B. „sich selbst und den Wald, unterstützt durch Übungen, mit allen Sinnen wahrzunehmen“. Als hilfreiche Haltungen schlage ich „geistige und körperliche Präsenz“ vor, die Natur heute verstärkt als „Mitwelt“ zu betrachten, ohne sie in den Vorder- oder Hintergrund zu rücken. Wie Pflanzen oder Tiere heißen und was sie in der Natur bewirken, ist beim „forest bathing“, so der englische Begriff für Waldbaden, nicht so wichtig. Weiters besprechen und vereinbaren wir „Freiwilligkeit“, „Vertraulichkeit“, „Eigenverantwortung“, eine „STOP-Regel“ und dass wir möglichst „unplugged“ unterwegs sein wollen, also ohne Smartphone, Uhr und dergleichen, das Zeitmanagement übernehme ich.
Auf in den Wald.
Nach beantworteten Fragen geht es hinaus in den Regen, gleich in ein abwechslungsreiches Waldstück hinter der Villa Sonnwend, mit der Aufgabe, das erste Stück ganz bewusst als „silent walk“ anzulegen. Dieses langsame Gehen ohne zu sprechen habe ich gewählt, um noch weiter zu entschleunigen und mit allen Sinnen in der Natur anzukommen. In regelmäßigen kurzen Gesprächsrunden tauschen wir uns über äußere Eindrücke aus und dem, was dadurch in uns ins Schwingen kommt.
Bei einem der ersten Stopps ergänze ich den Austausch mit wissenschaftlichen Argumenten für den Aufenthalt im Grünen und nenne wichtige physische und psychische Gründe für achtsame Zeiten im Wald. Die Schlagworte dabei sind „Stärkung des Immunsystems“, „Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit“, „Reinigung der Lungen“, „Anti-Stress-Wirkung“, „Schmerzlinderung“, „Krebsprävention“, „Verminderung eines Gedankenkarussells“, „Entspannung für das Gehör“, „Schonung der Gelenke“, „Kühlung in unseren immer heißer werdenden Sommern“ und das auf die Psyche einzahlende „pure Glücksgefühl“, das bei Waldaufenthalten entstehen kann. Dann spreche ich die Einladung aus, sich Zeit zu nehmen, um die Dinge durchzudenken, die einen derzeit im Leben beschäftigen. In einem Folgeschritt kann man die unangenehmen/belastenden Anteile mit jedem Ausatmen ein Stück vertrauensvoll in die Natur entlassen.
Weitere Einladungen und kurze Gesprächsrunden wechseln sich ab, die unterschiedlichen Naturräume am gewählten Weg werden zu den Themen passend eingesetzt: 10 Min. bewusstes Sehen – kurzer Austausch was das bei mir auslöst hat, 10 Min. bewusstes Hören – kurzer Austausch, 10 Min. bewusstes Fühlen, Riechen, Tasten – kurzer Austausch.
So bewegen wir uns durch den Wald, die Feuchtigkeit schenkt uns mehrere Begegnungen mit Feuersalamandern, die unseren Weg kreuzen.
Der Regen hat etwas nachgelassen, dem geplanten Höhepunkt, einem Solo, steht also nichts im Weg. Jede Teilnehmerin sucht sich einen sicheren, für sie passenden „Kraftplatz“ in Rufweite und hat eine Stunde Zeit, die Natur auf sich wirken zu lassen. Wer möchte, kann diese kleine Auszeit zusätzlich dazu nutzen, um eine Frage an den Wald zu stellen und darauf zu achten, welche Antworten in der äußeren und inneren Natur auftauchen.
Die Plätze werden gesucht, gefunden und bezogen. Sitzunterlagen werden ausgebreitet, Regenschirme aufgespannt - es stellt sich Ruhe im Wald ein, oder besser: die Absenz von menschlichen Geräuschen. Bei dem Bild des tiefgrünen Waldes, dem sanften Prasseln der Regentropfen und den Teilnehmerinnen, die an Bäume gelehnt ihre Plätze bezogen haben, macht sich auch bei mir eine sehr entspannte, friedvolle, harmonische Stimmung breit und ich denke darüber nach, was wohl meine Frage an den Wald sein könnte.
60 Minuten sind lang und kurz zu gleich. Mit den vereinbarten „Krähen-Rufen“ bitte ich alle wieder zurück zum Treffpunkt. Es „knackt“ aus unterschiedlichen Richtungen, bunte Gestalten lösen sich aus dem dichten, feuchten Grün. Alle sind wieder da, doch die Stille bleibt noch einige Momente aufrecht, bevor ich sie mit meinen Fragen beende.
„Wie ist es euch ergangen? Was habt Ihr im Äußeren und Inneren erlebt? Welche Antworten gab es auf ev. gestellte Fragen?“ Eine wertvolle Gesprächsrunde entwickelt sich, bei der wir nicht nur unsere Eindrücke teilen, sondern auch durch die Gedanken der anderen inspiriert werden.
Bei den Aufgaben am Rückweg steht die Integration der Erkenntnisse im Fokus. Auch hier wechseln sich Einladungen und kurze Reflexionsrunden ab.
Nach knapp fünf Stunden erreichen wir wieder unsere „Lafthütte“ und entzünden den vorbereiteten Holzstoß. Bei serviertem Tee und Glühmost tauschen wir uns über die gemachten Erfahrungen aus. Die Tiefe und Offenheit der Gespräche lösen bei mir eine große Dankbarkeit aus. Eine Dankbarkeit für das gemeinsame Tun, eine Dankbarkeit für Plätze wie den Nationalpark Kalkalpen, wo Natur noch Natur sein darf und eine Dankbarkeit, dass ich als Nationalpark Ranger ein Teil davon bin.
Auf meinem Weg nach Hause, es regnet wieder deutlich stärker, denke ich noch darüber nach, warum wohl die angemeldeten Männer heute ausgefallen sind, und ob das nicht ein Hinweis darauf sein könnte, dass doch Frauen das stärkere Geschlecht sind. 😊
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