Seit 20 Jahren unterwegs
im nächtlichen Gesäuse
Zwanzig Jahre als Ranger im Nationalpark Gesäuse liegen bereits hinter Wolfgang Riedl in denen er viele tausende Besucher:innen begleitet und viele, so manch außergewöhnliche, Geschichten erlebt hat.

Nächtliche Besucher:innen und ihre Geschichten
Unsere Ausbildung zielte darauf ab, den Nationalparkbesucher:innen die Wunder der Natur näher zu bringen und das zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten an sehr unterschiedlichen Orten. Damit wir die Natur in der Nacht nicht zu sehr stören, wandern wir nur in gewissen Bereichen, verwenden kein Licht (außer im Notfall) und sind – so gut es geht – leise unterwegs.
Bis heute ist für mich jede einzelne Nachtwanderung, eigentlich paradox, ein Highlight! Auf das Angebot, die Nacht mit allen Sinnen zu erleben, wurde auch die „Presse“ im noch jungen Nationalpark Gesäuse aufmerksam. Birgit Brettenthaler, die für die Schwerpunktausgabe des VIA Airportjournal Graz zum Thema Nacht schrieb, stattete dem nächtlichen Nationalpark einen Besuch ab. Ihr abschließendes Resumee war wie folgt: Nach drei Stunden kommen wir wieder aus dem Wald, langsam gewöhnen sich die Augen an das Licht der Laterne am Ausgangspunkt. Dunkel und still liegt er hinter mir, der Wald. „Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch", hat Goethe gedichtet. Der ist wohl nie nachts durchs Gesäuse gewandert.

Eine Möglichkeit sich dem Thema Nacht anzunähern ist ein so genannter „Silent Walk“ bei dem jede:r Besucher:in für sich ganz allein ein Stück des Weges in der Dämmerung oder stockdunkler Nacht wandert und dabei auf all seine und ihre Sinne genau achtet. Dabei beschreibe ich den Weg bis zu einem deutlich erkennbaren Treffpunkt immer ganz genau. Auf meine Frage an die Schulklasse: „Wer von Euch findet diesen Weg und den beschriebenen Treffpunkt?“ kommen noch mehrere Antworten. Auf die zweite Frage „Wer möchte den Anfang machen?“ meldet sich, nennen wir ihn Alex, ganz energisch. Ich schicke ihn los und er beginnt ganz laut mit sich selbst zu reden, so laut, dass auch ich als Letzter ihn noch hören kann, ganz zu schweigen von den 14 Burschen, die ihm in einem jeweils großen Abstand folgen. Den beschriebenen Treffpunkt hat er zwar tatsächlich gefunden, aber seine Klassenkameraden waren nicht sehr begeistert. Was blieb uns anderes übrig, als diese Übung zu wiederholen, mit einem anderen Starter und so war die ganze Gruppe vollkommen begeistert. Es stellte sich heraus, dass „Alex“ aus Angst diese Sache als Erster hinter sich bringen wollte, in meiner Begleitung zum Schluss fühlte er sich wieder sicher.
Der ‚Silent Walk‘ hat das Ziel, mit all unseren Sinnen bewusst wahr zu nehmen, was gehört, gesehen, gerochen, geschmeckt und gefühlt werden kann. Da ist es dann kontraproduktiv, wenn mich der Busfahrer begleitet und mit mir tratschen will… es kann beim ‚Silent Walk‘ aber auch passierten, dass ein Erwachsener das eindeutig erkennbare Ziel nicht erkennt und so lange weitermarschiert, bis ich wieder in Rufweite bin und ihn stoppen kann.
Eine einzige Nachwanderung ist gescheitert, weil sich bei einem Buben die Angst vor der Nacht mit seinem Heimweh aufgeschaukelt hat und er sich durch nichts ablenken ließ und damit das Erlebnis, die Nacht mit allen Sinnen zu erleben für die ganze Gruppe unmöglich gemacht hat.
Keine schlechte Idee: „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da. Gehen Sie zum Beispiel einfach mal wandern“.
Text: Wolfgang Riedl, Nationalpark Gesäuse
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