Einklang im Vielklang
in den Kalkalpen

Medienstipendium

Die deutsche Politikwissenschaftlerin Hannah Schragmann machte eine literarische Wanderung durch den Nationalpark Kalkalpen und versuchte dabei all die verschiedenen Arten, die ihr unterwegs begegneten, zu ihr selbst in Beziehung zu setzen. In ihrem Werk Einklang im Vielklang [PDF] schrieb sie ihre Erlebnisse und Wahrnehmungen nieder. Nun blickt sie auf ihren Aufenthalt in der Natur zurück.

Frau im Hangwald
(c)Franz Sieghartsleitner

Erwartungen an meine Reise

Konkrete Erwartungen hatte ich keine. Ich war vielmehr von der prickelnden Vorfreude darauf erfüllt, mich eine Zeit lang ganz ungestört der Natur widmen und in aller Ruhe und Abgeschiedenheit meine Tage mit Staunen verbringen zu können, um das Wunder Erde noch einmal neu zu erleben – und im Nachhinein war das Erlebnis selbst sogar noch schöner als die Vorfreude. Da soll nochmal jemand sagen, Vorfreude sei die schönste Freude!

Faszination im Nationalpark

So herrlich auch alle Aussichten und Gipfel waren – am meisten hat mich tatsächlich der im Nationalpark Kalkalpen einzigartige Wald fasziniert, da ich während des Lernens über das Ökosystem immer mehr in ihm entdeckt habe, wofür ich zuvor blind gewesen wäre. Sich von der Weite des Gebirges ergreifen zu lassen, fällt den meisten leicht, sich aber von einem Baumschwamm oder einer besonders krumm gewachsenen Buche begeistern zu lassen, wird immer natürlicher, je mehr man im Kleinen das Große zu sehen lernt. Und dafür haben mir gerade die Ranger die Augen geöffnet, durch deren wissende Brille ich meine Umgebung ganz neu entdecken durfte.

In Bezug auf ganz konkrete Momente gab es unzählige, auch wenn ich selten Fotos geknipst, sondern eher den Stift gezückt und sie gezeichnet habe. Die drei Fotos zeugen von drei Situationen, in denen mir das Herz aufgegangen ist: Einmal der Moment am Grat des Hagler, da mir gerade eine Gämsenherde vor die Füße gesprungen war und kein anderer Wanderer weit und breit zu sehen war. Zum Zweiten einen herrlichen Sonnenaufgang im Wald, an dem ich mich wie in ein Märchen versetzt fühlte und direkt die Magie in dem von Baumschwämmen bewachsenen Totholz neu fühlte.

(c)Hannah Schragmann

Die größten Herausforderungen

Gerade in der unberührten, urwaldnahen Natur erkennt man noch einmal klarer, wie viel an Boden, wie viel an Wildnis der Mensch schon zerstört und für immer versiegelt hat. Man spürt auf einmal eine Verbindung zur Außenwelt, zu allem Lebendigen, die einen hinterfragen lässt, wie blind man zuvor über die Erde gewandelt ist, wie man Teil sein konnte dieses Systems, das unser Wertvollstes unterjocht. Aktuelle Nachrichten über den schlechten Zustand der deutschen Wälder machen noch einmal anders betroffen, wenn man jeden Baum ins Herz geschlossen hat, wenn man bewusst eingeatmet hat, was eine lebendige Kreatur ausgeatmet hat. Und es beginnt ein innerer Kampf: Ja, auch der Mensch hat seine Lebensberechtigung, doch wie viel braucht der Einzelne wirklich, wo hört mein Lebensraum auf, da ein anderer beginnt? Und dann noch die große Sehnsucht nach einem Anhalten dieses Gefühls der Verbundenheit – denn wie kann ich mir diese Bezogenheit bewahren, wenn ich wieder eingebunden bin in Alltag und Stress, wenn ich mit der Bahn fahre und die einzigen Bäume, die ich sehe, weit entfernt am Horizont vorbeiziehen? Ist die heutige Lebensweise der Massen wirklich die richtige, da man hier auf einmal wieder so frei atmen kann? Warum werden Menschen belächelt, die Bäume umarmen, während es normal ist, auch als erwachsener Mensch Fantasy-Serien zu fröhnen? Warum ist Wunder heute aus dem Alltag verbannt, warum ist es nur noch dann zulässig, wenn es hinter einer undurchlässigen Mauer stattfindet? 

Gerade in dieser Hinsicht war es sehr spannend, mit den verschiedenen Rangern im Austausch zu stehen, von denen einige jede freie Minute für das Streifen durch den Wald nutzten, aber primär doch in anderen Kontexten arbeiten, also Beweis dafür sind, dass es nicht die Entscheidung zwischen Einsiedelei und Stadtleben geben muss, sondern viele Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß existieren. Außerdem war es bei Gefangenschaft in düsteren Gedankenkarussellen hilfreich, etwa mit Förstern oder Biologen zu sprechen, die jeweils noch einmal einen ganz anderen Blickwinkel auf das Spannungsfeld Natur – Mensch haben. Dank dieser Gespräche bin ich mit einem positiven Gefühl aus dem Erlebnis hinausgegangen, da man merkt, wie das Bewusstsein für diese Themen wächst, wie viele Menschen die Verbindung zur Natur neu für sich entdeckt haben und wie viele schlaue Köpfe daran arbeiten, unser System so zu gestalten, dass auch noch zukünftige Generationen die Gelegenheit haben, über das Wunder der Wälder zu staunen.

(c)Hannah Schragmann
(c)Hannah Schragmann

Mein persönlicher Rückblick

Die Menschen, denen ich begegnet bin, haben sich alle ausgezeichnet durch eine unfassbare Zuversicht in Bezug auf die Kräfte der Natur, die sich alles zurückholt, wenn der Mensch aufhört, einzugreifen. Die Zeit im Nationalpark hat mich deshalb gelehrt, bewusster durch die Welt zu gehen – und selbst in der Stadt, selbst im zwischen zwei Mauersteinen blühenden Löwenzahn einen Splitter dieses herrlichen Mosaiks, einen Beweis für die Kraft des Lebens zu sehen, und sich daran zu freuen. Konfrontiert mit der unendlichen Vielfalt der Arten ist in mir außerdem eine Demut zurückgeblieben, das Wissen, dass ein jedes Leben berechtigt ist, zu leben, und doch eingebettet ist in eine Welt, die nur über die Mannigfaltigkeit der Arten stabil bleibt – das lässt einen bei Konsumfragen, bei Reiseplänen noch einmal ganz anders entscheiden. Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt schließlich ursprünglich aus der Forstwirtschaft und ich glaube, dass eine im Wald verbrachte Zeit helfen kann, dieses Wort mit Leben zu füllen, sodass es nicht mehr bloß kalter Moralapostel-Appell bleibt, sondern als innere Stimme aus dem Einzelnen selbst heraus spricht.

Meine Zeit im Nationalpark war ein fantastisches Erlebnis, ich habe wahnsinnig viel gelernt, bin tollen Menschen sowie mir selbst begegnet, durfte viel Leichtigkeit erleben, freier atmen und dabei zugleich eine tiefe Verbundenheit spüren, die hoffentlich weiter so intensiv in mir nachklingt, wie ich sie jetzt höre. Deshalb sage ich danke an alle, die mir diese tolle Zeit ermöglicht haben!

 

Text: Hannah Schragmann

 
 

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