Klimawandel
hautnah
"Die Gefahr, welche ein Gletscher birgt auf der einen Seite, aber wieder die Sanftheit, wenn ein Gletscher mit Schnee bedeckt ist auf der anderen Seite. Diese Gegensätze faszinieren mich noch heute. "
Emanuel Egger (Hohe Tauern Tirol) ist im im Alter von 12 Jahren unter die Lawine gekommen. Er hatte Glück und konnten sich befreien, doch das Ereignis hat seine Spuren hinterlassen. Seither ist der Ranger von Schnee und Gletschern fasziniert und nimmt auch Nationalpark Besucher:innen mit auf seinen Wanderungen zu den Eisriesen.
Meine Geschichte
Mein Name ist Emanuel Egger und seit 1993 bin ich im Tiroler Teil des Nationalpark Hohe Tauern als Ranger tätig.
Im Jahre 1986, im Alter von 12 Jahren, bin ich beim Spielen mit 2 Freunden in Matrei in Osttirol unter die Lawine gekommen. Wir waren zum Glück nicht ganz verschüttet und konnten uns alle 3 befreien. Das war logischerweise ein einschneidendes Erlebnis in meinem Leben. Seither ist das Thema Schnee und Gletscher für mich von großem Interesse.
Unser Landschaftsbild in Osttirol wäre ein ganz anderes, würde es die Gletscher nicht geben. Die Gefahr, welche ein Gletscher birgt auf der einen Seite, aber wieder die Sanftheit, wenn ein Gletscher mit Schnee bedeckt ist auf der anderen Seite. Diese Gegensätze faszinieren mich noch heute. Für mich war es also klar, meine Ranger-Spezialisierung muss der Gletscher sein.
Seit ich Ranger bin, darf ich Nationalparkbesucher:innen in den Sommermonaten einmal die Woche zur Gletscherzunge des Schlatenkees führen und ihnen über das ewige Eis, seine Moränen und landschaftsverändernde Wirkung erzählen. Oft bekomme ich von Tourteilnehmer:innen, aber auch Hüttenwirt:innen und Freund:innen die Frage gestellt, ob es mir nicht langweilig wäre seit beinahe 30 Jahren immer denselben Weg hinauf bis zur Gletscherzunge zu gehen. Meine Antwort dazu ist immer ein klares NEIN. Die Landschaft oberhalb des Salzbodensees im Innergschlöß verändert sich vor allem in den letzten Jahren so irrsinnig schnell. Immer wenn ich dort oben stehe kämpfe ich mit positiven und negativen Gefühlen gleichermaßen. Das Eis verschwindet – doch neuer Lebensraum entsteht.
WOW-Effekt vs. AHA-Effekt
Während bei den meisten unserer Touren ein positiver WOW-Effekt überwiegt, wenn beispielsweise ein Steinbock auf 150 Meter Entfernung steht oder ein Bartgeier 40 Meter über unseren Köpfen kreist, ist es bei der Rangertour am Gletscherlehrweg eher der AHA-Effekt welcher überwiegt.
Auf dem Weg zur sich auflösenden Gletscherzunge vorbei an den Gletschermesspunkten (Markierungen zur Längenmessung der Gletscher) wird jedem sofort klar, in welcher Geschwindigkeit sich der Gletscher dort zurückzieht.
Wenn man dann mit den Nationalparkbesucher:innen dort oben steht und sich ein wenig über den Gletscher unterhält, entsteht meist eine seltsame Stimmung. Ich will nicht sagen eine traurige Stimmung, aber ein wenig nachdenklich stimmt es schon. Wir alle wissen irgendwo, dass der Mensch mittlerweile hauptverantwortlich für die derzeitigen Vorgängen im Klimasystem ist.
Wer in der heutigen Zeit den Klimawandel immer noch leugnet und behauptet es gäbe ihn schlichtweg nicht, den lade ich gerne dazu ein, im Sommer zwei Mal mit mir bis zur Gletscherzunge hinaufzugehen. Was bei der Gletscherzunge innerhalb weniger Tage bzw. innerhalb einer Woche passiert ist unvorstellbar. Nirgends kann man die Auswirkungen des Klimawandels so gut erkennen wie am Gletscher.
Die Frage, welche wir uns jetzt, im Jahre 2022, stellen ist, wie lang das Bändchen zwischen Zehrgebiet und Nährgebiet noch bleiben wird. Reißt es, so ist die Gletscherzunge, wie sie jetzt ist, per Definition nur noch ein Toteiskörper. Und dieser wird ohne Zehrgebiet nicht mehr lange bestehen.
Trotzdem ist es wunderschön. Der Gletscher strahlt nach wie vor irrsinnig viel Kraft aus und deshalb meine Empfehlung an alle: Geht zu den Gletschern und genießt ihre Kraft solange sie noch hier sind.
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