Eine Nacht
zwischen Schneehühnern
Niemand kennt die Nationalparks besser als unsere Ranger:innen. Darum macht es nur Sinn, dass sie auch Forschungsprojekte in den Nationalparks übernehmen. So wie Rangerin Mina Zschiesche, die im Nationalpark Gesäuse Schneehühner kartiert.

„Über den Wolken wird die Freiheit wohl grenzenlos sein“. An diesem kalten Juniabend entfalten Reinhard Mey’s Worte ihre ganze Wahrheit, denn „alle Zweifel und alle Sorgen scheinen nichtig und klein“. Summend kuschle ich mich tiefer in meinen Schlafsack, lasse meinen Blick ein letztes Mal über den Sternenhimmel wandern und schlafe ein.
Um 04:00 Uhr in der Früh klingelt mein Wecker und meine Arbeit beginnt. Ich schäle mich also aus meinen Schichten und schaue mich aufmerksam um. Es ist noch dunkel, doch ich kann schon die leichten Umrisse der Gesäusegipfel um mich herum erkennen und ich spüre die Tropfen des Raureifs auf meinen kalten Wangen. Während ich am Grat der Gsuachmauer entlang wandere, wandert auch die Sonne weiter und enthüllt immer mehr der vor mir liegenden Landschaft. Vereinzelte Latschen tauchen aus der Dunkelheit auf, die Tropfen in meinem Gesicht beginnen zu trocknen. Und während ich noch in die Ferne starre, kann ich es plötzlich hören. Ein mechanisches Knarren reißt mich aus meinem Bann.

Unverkennbar!
Wer schon einmal den Ruf eines Schneehuhns gehört hat weiß, er ist nicht zu überhören und nicht zu verwechseln. Es ist 04:18 Uhr und der Ruf kommt von links hinter mir. Also verharre ich, warte, lausche in die Stille. Eine Alpenbraunelle saust vor mir durch die Lüfte und da ist es wieder: Ein weiteres Knarren, aus der gleichen Richtung. Es ist 04:28 Uhr. Und dann kann ich mein Glück kaum fassen. Nur ein paar Sekunden später höre ich eine Antwort. Sie kommt von rechts. Es folgt ein Ruf von links und ich stehe mitten in einem Dialog. So geht es ein paar Mal hin und her, dann wieder Stille. Ein Rauschen durchbricht die Stille und ich höre über Funk Gudruns Stimme: „Mina Kommen“. „Hast du das auch gehört, es muss genau zwischen uns sein.“ Ich gehe ein paar Schritte und da sehe ich es vor mir flattern. Ein Schneehuhn kommt aus Gudruns Richtung und fliegt in einem geschwungenen Bogen an mir vorbei. Durch mein Fernglas verfolge ich den braun-weißen Vogel, bis er hinter Lauras Beobachtungspunkt verschwindet.
Ein paar Minuten bleibe ich noch stehen und genieße es - der Welt beim Aufwachen zuzusehen, dann trage ich alle Rufe, Sichtungen, Richtungen und Zeiten in mein Datenblatt ein.

Schneehuhn im Sommerkleid
Mit diesem setzen wir uns euphorisch in der Verwaltung zusammen und vergleichen unsere Beobachtungen. Anhand der Zeiten und groben Richtungsbestimmungen können wir sagen, ob wir die gleichen oder verschiedene Schneehühner gehört haben und bestimmen, zwischen wie vielen von ihnen wir die Nacht verbracht haben.
Vor ca. 15 Jahren wurden die letzten Schneehuhnkartierungen im Nationalpark Gesäuse durchgeführt und unsere Daten sollen jetzt mit den damaligen verglichen werden, um herauszufinden, wie sich die Schneehuhnpopulation entwickelt. Da wir den Schneehuhnbestand im Gesäuse langfristig beobachten wollen, werden wir im nächsten Jahr zurückkommen und die gleichen Zählungen erneut durchführen.
Zum Glück - denn ich kann es kaum erwarten meine nächste Nacht über den Wolken zu verbringen.
Text: Mina Zschiesche, Nationalpark Gesäuse