Die Kinder
und der Alpenbock

Rangergeschichte

Seit 2016 arbeitet Christian Raffetseder als Ranger im Nationalpark Donau-Auen. Über die Jahre war er mit hunderten Schüler:innen in den Auwäldern und am Ufer der Donau unterwegs, dennoch freut er sich immer auf die nächste Möglichkeit den Nationalpark mit Kindern allen Alters zu erkunden.

 

Ein Mann hält einen kleinen Frosch in die Kamera
(c) Raffetseder

Projekttage im Nationalpark
Es ist heiß. Und mit heiß meine ich nicht, dass ich mir meine Weste ausziehe, sondern ich schwitze im Stehen. Aber das gehört dazu, wenn im Juni Projekttage im Nationalparkinstitut in Petronell-Carnuntum anstehen. Dennoch mache ich mich mit den Kindern der 4. Klasse Volksschule aus Wien auf den Weg in Richtung Auwald und Donau. Wir wollen den Nationalpark zu Fuß kennenlernen und vielleicht das ein oder andere seiner Geheimnisse lüften.

Der Weg führt anfangs abwärts – wir befinden uns auf einer höher gelegenen Schotter-Terrasse, die durch den Transport von Schotter in der Donau im Laufe der Jahrtausende abgelagert wurde. Diese Hochterrassen wussten schon Kelten und Römer zu nutzen, um sich vor den Hochwässern der Donau in Sicherheit zu bringen. Weiter unten endet auch das Siedlungsgebiet und der Nationalpark erstreckt sich vor unseren Augen. Noch ist nichts von der Donau oder anderen Nebenarmen zu erkennen aber die typischen Vertreter einer Weichholzau, wie Pappeln flankieren bereits den eingeschlagenen Weg.

Hoher Besuch
Markierungen an der Hausmauer des letzten Grundstücks zeugen noch von Hochwässern vergangener Tage. Das letzte größere Hochwasser ist mit 2013 datiert und die Kinder staunen nicht schlecht, als sie verstehen, dass sie damals an dieser Stelle bereits schwimmend unterwegs gewesen wären. Heute setzen wir unsere Wanderung trockenen Fußes fort und kommen bereits nach wenigen Gehminuten zu einem spektakulären Ort. Ein getürmter Haufen von Totholz ist der perfekte Ort für spektakuläre Sichtungen. Ich weise darauf hin, dass die Kinder jetzt besonders die Augen offenhalten sollen, dann können wir bestimmt interessante Beobachtungen machen. Noch während ich den Satz ausspreche, wird meine Stimme von einem tiefen Surren begleitet. Aufgeregt zeigen die Kinder auf ein riesiges Fluginsekt, das hinter mir ins Bild geflogen ist. Die Blaue Holzbiene sucht den Totholzhaufen nach einem geeigneten Platz für die Eiablage ab.

Gleich darauf geraten weitere Insekten ins Blickfeld der Kinder. Alpenbockkäfer (Rosalia alpina) klettern über die in der Sonne aufgeheizten Stämme und tasten mit ihren riesigen Fühlern die nähere Umgebung ab. Ich bin begeistert, zählen diese Käfer doch zu den bedrohten Arten und sind im Nationalpark vor allem am Südufer in den Hangwäldern anzutreffen. Nach der ersten Sichtung folgen zwei, drei, vier…. am Ende zählen wir fast 10 Alpenbockkäfer, die sich uns in der Sonne präsentieren. Ich erzähle von ihrer Entwicklung, die sie als Larven im abgestorbenen Holz dicker Bäume wie Buchen und Eschen durchmachen. Erst nach drei bis vier Jahren und mehreren Larvenstadien vollbringen sie die Verwandlung zum ausgewachsenen Käfer. Große Löcher im Holz verraten, wo die Käfer das Holz verlassen haben. Die Lebenserwartung der fertigen Käfer beträgt nur zwei Wochen, die sie vor allem für die Fortpflanzung und Eiablage nutzen. Ich bin begeistert und verabschiede mich von den prächtigen Tieren.

Ein langgezogener Käfer mit blau schwarzer Bemalung und langen Fühlern sitzt auf einem abgestorbenen Baum
(c) Raffetseder

Der große Strom
Elektrisiert von diesen schönen Beobachtungen wandern wir weiter durch den Auwald zur Donau. Das Blätterdach im Auwald schützt uns vor der unbarmherzigen Sonne, am Boden säumen Brennnessel und Glaskraut den Weg. Wir überqueren mittels Traverse einen Nebenarm, der schon deutlich höhere Wasserstände und Überflutungen gesehen hat. Durch die Bäume vor uns schimmert bereits das Wasser des großen Stroms – der Donau – hindurch, was die Kinder sofort entdecken. Die Mittagspause verbringen wir am Schotterstrand, wo die aufgeheizten Waden im Wasser oder im Schlamm gekühlt werden können. Tage wie diese schaffen Erinnerungen, die auch in der kalten Jahreszeit für inneres Wohlbefinden und Wärme sorgen.

Am nächsten Tag steht ein weiteres Highlight der Projekttage an, eine Schlauchbootfahrt im Nebenarm. Wir bewegen uns paddelnd im Lebensraum von Biber und Co. vorwärts und können den ein oder anderen Frosch aus der Nähe betrachten. Die Kinder genießen die Fahrt auf dem stillen Wasser, nur für ein kurzes Wettpaddeln wird es richtig laut. Die Boote rasen Seite an Seite den Nebenarm entlang, bis zu einem umgestürzten Baum, der ins Wasser hineinhängt und die Ziellinie markiert. Bei der Aktion wundert es nicht, dass Reiher und andere Vögel das Weite suchen. Aber sobald wir den Nebenarm verlassen, kehren diese Bewohner wieder zurück, um in aller Ruhe auf die Jagd nach kleinen und großen Fischen zu gehen.

Zwei Schlauchboote auf dem Wasser, in denen Kinder sitzen
(c) Raffetseder
Vier Kinder spielen im Schlamm
(c) Raffetseder

Leben unter Wasser
Am dritten Tag werfen wir zum Abschluss noch einen Blick hinein, in das Augewässer und beschäftigen uns mit den heimlichen Bewohnern unter Wasser. Damit sind nicht die zahlreichen Fischarten gemeint, die sich im Nationalpark tummeln, sondern eine noch viel artenreichere Tiergruppe. Wirbellose Vertreter von Insekten, Schnecken und Krebstieren sind während der heißen Sommertage zahllos entlang der Uferbereiche im Wasser zu finden. Ausgerüstet mit Fangnetzen und Wasserschalen bringen die Kinder aufgeregt jedes neue Fundstück zu mir. Gemeinsam mit Bestimmungshilfen versuchen wir das ein oder andere Tierchen zu benennen und beobachten die Tiere, die in einer für uns ganz anderen Welt zu Hause sind. Kiemenbüschel, Schnorchelapparate und Fangbeine sind sichtbare Anpassungen an das Leben im Augewässer. Die Kinder staunen darüber wie Schnecken mit ihrer Unterseite – dem sogenannten Fuß – nach oben die Wasseroberfläche entlang kriechen, um Algen und Pflanzenteile abzugrasen. Die Erlebnisse in und mit der Natur berühren uns immer wieder aufs Neue und so gehen wir mit neuem Wissen zurück in unser Quartier. Am Rückweg kommen wir erneut am Totholzhaufen vorbei, wo uns der Alpenbockkäfer mit seinen langen Fühlern „Adieu“ zumorst.

Bleibende Eindrücke
Ich nehme gemeinsam mit der Gruppe Abschied vom Nationalpark und fahre mit der S-Bahn zurück in Richtung Wien. Die Erlebnisse von den drei Projekttagen klingen auch bei mir noch längere Zeit nach. Besonders, als mich eine Woche später mehrere Mitteilungen auf meinem Handy erreichen. Die Lehrerin der Klasse hat mir einige Fotos mit Nachrichten und Zeichnungen der Schüler:innen zu den Projekttagen geschickt. Besonders präsent waren die Beiträge zum Alpenbockkäfer, der einen starken Eindruck bei den Kindern hinterlassen hat. Ich lese jede einzelne Nachricht, schaue mir alle Zeichnungen genau an. Ich bin beeindruckt mit welcher Leidenschaft die Texte und wie detailliert die Abbildungen ausgearbeitet wurden. Mit so viel Begeisterung habe ich wirklich nicht gerechnet. Erfüllt mit Freude setze ich mich an den Schreibtisch und verfasse ebenfalls einen Brief an die Schüler:innen, um mich bei ihnen für die vielen Nachrichten zu bedanken. Und falls sie als Leser:in sich jetzt noch die Frage stellen…JA, auch bei mir nimmt der Alpenbockkäfer einen besonderen Platz ein.

Text: Christian Raffetseder

 
 

Gefördert durch Bund sowie Europäischer Union.

© 2011-2025 - Nationalparks Austria | Impressum | Datenschutzerklärung | Barrierefreiheitserklärung | Sitemap | Webseitenarchiv

+

Nationalpark Ranger:innen

Einsatz im Dienste der Natur: Unsere Nationalpark Ranger:innen sind leidenschaftliche Botschafter:innen des Natur- und Artenschutzes.

Einsatz für die Natur

Als Inspirationsquelle, Forschungsgebiet und Anlaufstelle für ehrenamtliches Engagement eröffnen die österreichischen Nationalparks vielfältige Möglichkeit, Natur zu erfahren.

You are using an outdated browser. The website may not be displayed correctly. Close